Hier wird anders gelernt
Der Rohbau der Pfrimmtalschule steht und lässt das neue Konzept erkennen / Klimaneutrales Gebäude
von Johannes Götzen
WORMS. Der Clou steckt im Herzen des Rohbaus und ist eine Treppe. Allerdings eine ganz besondere. Sie führt vom Erdgeschoss hinauf ins erste Obergeschoss, und das unter dem Glasdach im Licht-Innenhof. Allerdings hat sie so hohe Stufen und ist so breit, dass sie als ansteigende Tribüne genutzt werden kann. Sie ist damit die Aula der neuen Pfrimmtal Realschule plus. Oder ein Theatersaal. Oder ein Vortragssaal. Oder ein Konzertsaal, oder, oder: Die Treppe inklusive dem großen Raum davor ist auch als Veranstaltungsstätte baurechtlich genehmigt. Bis zu 250 Personen kann sie fassen.
Aber natürlich soll hier vor allem gelernt werden. Doch auch dabei gilt: Das wird sehr anders werden, als man das so kennt. Das ist bei einer Besichtigung des Rohbaues an der Nievergoltstraße zwischen Hochheim und Leiselheim schon sehr genau zu sehen. Also hinein in die künftige Pfrimmtal Realschule plus.
Es sind zwei versetzt angeordnete Kuben aus Beton, jeweils drei Geschosse hoch, aber sehr unterschiedlich konzipiert. Die Treppen-Aula steht im Haupthaus. Hier finden sich die Verwaltung, das Sekretariat, die Zimmer für die Schulleitung, das Lehrerzimmer. Schon hier wundert man sich nicht mehr, dass natürlich auch das Lehrerzimmer anders funktionieren wird als in anderen Schulen. Es ist ein Mehrzweckraum mit direktem Zugang zum Außenbereich hinter der Schule. Quasi die konsequente Fortführung des früheren ,,Klassenzimmers im Grünen“. In den anderen Geschossen sind die Nawi-Säle, Computerlabor oder Bibliothek.
Vom Haupthaus kommt man in den zweiten Kubus, das „Lernhaus“. Hier steckt der pädagogische Kern des Schulgebäudes. Wieder gibt es einen Licht-Innenhof über alle drei Geschosse, allerdings kleiner und nicht begehbar. Er dient dazu, den Marktplatz“, der sich um den Lichthof herum zieht, mit Tageslicht zu versorgen. Dieser Marktplatz“ besteht aus ineinander übergehenden größeren Räumen. Von diesem Marktplatz aus gelangt man wiederum in kleinere Säle. Während der Marktplatz bewusst offen gehalten ist, sind diese Räume drumherum kleinere Einheiten, hinter denen man auch eine Tür schließen kann. Klassenzimmer allerdings sind es nicht.
Damit sind wir beim pädagogischen Konzept, an dem Schulleiterin Simone Gnädig mit ihrem Kollegium schon lange arbeitet und das sie bereits in der ,,alten“ Realschule Stück für Stück umzusetzen versuchen. Die Schlagworte lauten „offenes Lernen“ in einer „Cluster-Schule“. Es gibt keine Flure mehr, sondern eben den Marktplatz“, der ein Cluster (englisch für Traube oder Schwarm) von Räumen ist. Drumherum dann eben die geschlossenen Räume. In diesen wird es eine ,,Input-Phase“ geben, die noch am ehesten an die klassische Schule erinnert. Die Lehrer vermitteln den Schülern wichtige Inhalte in einer sehr konzentrierten Form. Danach allerdings bilden sich Lerngruppen, die sich im Marktplatz“ verteilen und nun selbstständig weiter den Stoff erarbeiten. Das funktioniert auch klassenübergreifend. Im „Team-Stützpunkt“ sind die Lehrer dabei jederzeit ansprechbar. So sieht es in allen drei Geschossen aus. Das Erdgeschoss ist für die Klassenstufen 5 und 6, das erste Obergeschoss für die Stufen 7 und 8, ganz oben sind die Stufen 9 und 10.
Die völlig begeisterte Schulleiterin Simone Gnädig umschreibt es so: „Wir wollen nicht mehr in Räumen denken, sondern in Dimensionen“. Der Lernende soll dabei im Mittelpunkt stehen. Der Lehrer wird Begleiter für die individuellen Lern- und Bildungswege und bekommt eine neue Rolle: Er wird „persönlicher Berater, der Begabungen genauso wie Defizite erkennt“, so das Schulkonzept. Timo Horst, Dezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen und zuvor selbst Lehrer, ist ebenfalls begeistert: ,,In diesen Räumen ist ein Frontalunterricht nach altem Muster gar nicht mehr möglich.“ Deshalb sei dieser Schulbau in Rheinland-Pfalz bislang einmalig und ein Pilotprojekt, betont er.
Karsten Bohmann ist der Projektleiter hier, aber er klingt stellenweise gar nicht wie ein Ingenieur, sondern selbst schon wie ein Pädagoge. „Wir bauen hier die Schule der Zukunft“, sagt er beispielsweise. Auch er kann sehr fesselnd berichten, wie sich das pädagogische Konzept hier umsetzen lässt. Schließlich haben sie nicht nur im Vorfeld mit den künftigen Nutzern dieser neuen Gebäude ausführlich gesprochen, sondern auch jetzt immer wieder. Nahezu jeden Tag gebe es ein Telefonat mit Simone Gnädig, sagt Horst schmunzelnd.
Auf dem Dach des Gebäudes spricht dann Projektleiter Bohmann über Technik. Davon, dass die neue Schule klimaneutral und nahezu CO2-frei werde. Auf dem Dach wird eine Fotovoltaikanlage installiert, zwei Pellet-Kessel werden für Wärme sorgen, Wärmepumpen kommen zum Einsatz. Ein Stück Dachbegrünung darf da nicht fehlen.
Überall in dem Gebäudekomplex wird gearbeitet, werden Wände verputzt, Lüftungsanlagen installiert, Bodenbeläge aufgebracht und Trockenwände gebaut. Mehrere Gewerke arbeiten parallel, damit der Umzug in den Herbstferien 2022 erfolgen kann. Das wäre ziemlich genau zwei Jahre nach Baustart. 14,5 Millionen werden dann voraussichtlich verbaut sein, mit rund 8,5 Millionen aus dem KommunalinvestitionsFördergesetz fördert das Land den Neubau. Wobei man die Zahlen mit Vorsicht betrachten muss, sagt Beigeordneter Horst, wie sich die Baupreise entwickeln, ist ungewiss. Aber gut 75 Prozent der Leistungen sind bereits ausgeschrieben, da zumindest drohen keine großen Überraschungen mehr.
Ja, auch die Kunst am Bau wird es geben. Natürlich auch diese anders als sonst, sagt Karsten Bohmann. Es werde im Wortsinne begreifbare und erfahrbare kunst, nämlich in Form von künstlerischer Möblierung der „Marktplätze“. Alles andere hätte einen jetzt auch gewundert.